Nach dem „Brexit“- Entscheid wurde vor allem über die Zukunft der EU leidenschaftlich diskutiert. Dass dieser Entscheid jedoch das Ende des Vereinigten Königreichs von Grossbritannien und Nordirland bedeuten könnte, wurde von den Kommentatoren kaum thematisiert, obwohl genau dies in den kommenden Monaten geschehen könnte. Sollte Schottland nämlich tatsächlich den Weg der Unabhängigkeit wählen und in der EU bleiben, wäre dies der letzte Akt des Zerfalls des Britischen Welt- und Kolonialreichs, der seit rund 240 Jahren unaufhaltsam fortschreitet.
Die Anfänge des Empire lassen sich auf das Jahr 1169 zurückdatieren. Damals eroberten die Anglo-Normannen Irland und schufen damit ihr erste Kolonie. Niemand hätte damals geahnt, dass England rund 800 Jahre später ein Empire sein würde, das einen Viertel der Weltbevölkerung umfasste.
Nach der Eroberung Irlands wurde 1283 auch Wales unterworfen. Danach geriet Schottland ins Visier der Englischen Expansionsgelüste. Eduard I. von England annektierte Schottland schliesslich 1290. In zwei epischen Schlachten besiegten aber die Schotten die Engländer zuerst 1297 bei Stirling Bridge und 1314 bei Bannokburn. Die Englischen Expansionspläne erhielten vorerst einen Dämpfer.
Mit der (Wieder-) Entdeckung Amerikas öffneten sich auch für die Englischen Ambitionen neue Horizonte: 1497 schickte König Henry VII. den Italienischen Seefahrer Giovanni Caboto (anglifiziert: John Cabot) auf eine Expedition über den Atlantik. Caboto landete zwar in Neufundland und Kanada, konnte aber keine Kolonie aufbauen. Doch der Anfang war gemacht: Von da an setzte die Britische Krone alles daran, zur Seemacht aufzusteigen. Dies sollte Früchte tragen: 1583 nahm der Abenteurer Humphrey Gilbert Neufundland im Namen von Königin Elisabeth I. in Besitz und begründete damit, formell, die erste Britische Übersee-Kolonie. Die erste dauerhafte Britische Siedlung in Nordamerika wurde 1607 gegründet: Es war Jamestown in Virginia.
Glückliche Umstände, sagen wir es einmal so, führten dazu, dass 1603 auf die kinderlose Elisabeth Jakob VI. von Schottland folgte. Damit wurde er gleichzeitig König von England und Irland sowie von Schottland. Die Geburtsstunde Grossbritanniens schlug aber erst 1707 mit dem „Act of Union“. Die beiden noch separaten Königreiche wurden nun auch formell zum Königreich Grossbritannien fusioniert.
Nach und nach eroberten die Briten, meist auf Kosten der Spanier, Portugiesen und Niederländer, Kolonie um Kolonie: Kanada, die Ostküste Nordamerikas, Afrika vom Kap der Guten Hoffnung bis Kairo, grosse Teile der Arabischen Halbinsel, den Indischen Subkontinent, Australien und Neuseeland.
Doch bereits 1776, noch bevor das British Empire seine grösste Expansion erreichte, widersetzten sich die 13 Kolonien an der Nordamerikanischen Ostküste der Britischen Krone und riefen die Vereinigten Staaten von Amerika aus. Damit begann auch eine gegenläufige Bewegung, die mit dem wahrscheinlichen Austritt Schottlands aus dem Vereinigten Königreich von Grossbritannien und Nordirland ihren Endpunkt erreichen wird:
- 1776: 13 Britische Kolonien an der Nordamerikanischen Ostküste erklären sich für unabhängig.
- 1907: de facto Unabhängigkeit Australiens
- 1910: Verlust Südafrikas
- 1919: de facto Unabhängigkeit Kanadas
- 1922: Begründung des Freistaates Irland, später Irische Republik
- 1947: Indien erklärt seine Unabhängigkeit vom British Empire
Und wie könnte es weitergehen?
- 2017: Schottland hält ein zweites Unabhängigkeits-Referendum ab
- 2018: Schottland erklärt seine Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich und nimmt Beitrittsverhandlungen mit der EU auf
- 20xx: Nordirland erklärt seine Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich
Verlässt Schottland das Vereinigte Königreich, um in der EU zu bleiben, wäre England wieder dort, wo es vor rund 1000 Jahren einmal war…