welcome to azursphère

„Es sind die in der Tiefe verborgenen Strömungen der Geschichte und nicht die wechselhaften Aufregungen des Tages, die unsere Zukunft gestalten.“  John F. Kennedy

 

Die Stunde der Heuchler und Scheinheiligen

Seien wir ehrlich: Es war von Anfang an klar, dass sich die sogenannte Masseneinwanderungsinitiative nur um den Preis der Bilateralen Verträge mit der EU umsetzen lässt: Kontingente, Höchstzahlen und privilegierte Behandlung (Inländervorrang) sind mit der Personenfreizügigkeit nicht zu vereinbaren. Das alles war bereits vor dem 9. Februar 2014 bekannt.

Wider besseres Wissen behauptete aber die SVP während des Abstimmungskampfs, die Initiative führe nicht zur Kündigung der Personenfreizügigkeit. Es gehe lediglich darum, das entsprechende Abkommen neu zu verhandeln. Hier der Wortlaut aus dem offiziellen Argumentarium:

„Die Initiative will die mit der EU abgeschlossenen bilateralen Verträgen kündigen.“

Falsch! Die Volksinitiative verlangt Verhandlungen mit der EU über Anpassungen der Personenfreizügigkeit. Etwas anderes steht nicht in der Initiative. Die Initiative will weder einen generellen Stopp der Zuwanderung, noch verlangt sie die Kündigung der bilateralen Ab-kommen mit der EU. Sie gibt dem Bundesrat aber den Auftrag, mit der EU Nachverhandlungen über die Personenfreizügigkeit und damit über die eigenständige Steuerung und Kontrolle der Zuwanderung zu führen: Eine vernünftige und massvolle Initiative. (aus: www.masseneinwanderung.ch)

Voilà! Nachdem die Initiative mit knappem Mehr angenommen wurde, zeigte sich rasch, dass es keine Nachverhandlungen geben würde. Denn: Wozu sollte die EU der Schweiz mehr Rechte einräumen, als ihren eigenen Mitgliedsländern? Dem Bundesrat und dem Parlament blieb also nichts anderes übrig: Entweder die Bilateralen Verträge preisgeben, oder die Initiative so umsetzen, dass sie das Personenfreizügigkeitsabkommen nicht verletzt. Herausgekommen ist dabei der „Inländervorrang light“. Das ist nicht das, was sich die Initianten vorgestellt hatten. Aber: Zu glauben, die EU werde auf Grund des Abstimmungsresultats freundlichst zu Nachverhandlungen die Hand bieten, wirkt entweder reichlich blauäugig, oder dann heimtückisch berechnend.

Rund drei Jahre sind seit der Annahme der „Masseneinwanderungsinitiative“ verstrichen, und im letzten Moment hat also der Nationalrat einen Ausweg gefunden. Doch was passiert? Die SVP behauptet, diese Lösung sei „ein in Hochglanz verpackter Verfassungsbruch“ und ein „Kniefall vor Brüssel“. Und viele Newsmedien beten dieses Narrativ in ihren Kommentarspalten unreflektiert nach. Keine Rede davon, dass

  • das Parlament der Initiative keinen Gegenvorschlag entgegengesetzt hat oder diese gar für ungültig erklärt hat,
  • die SVP im Abstimmungskampf stets von Nachverhandlungen, nie von Kündigung der Personenfreizügigkeit gesprochen hat,
  • ständig von einem „Volksauftrag“ oder von einem „Verfassungsauftrag“ die Rede ist, den es umzusetzen gelte, obwohl die Personenfreizügigkeit ebenfalls in einer Volksabstimmung angenommen wurde und damit verbindliches Verfassungsrecht ist,
  • der Vorwurf eines „Verfassungsbruchs“, oder „Verrats“ platte Diffamierung ist und jenen Kräften in die Hände spielt, die die Schweiz spalten und destabilisieren wollen.

Mein Fazit: Es gibt keinen „Volksauftrag“, das Abkommen über die Personenfreizügigkeit preiszugeben. Das Abkommen wurde in einer Volksabstimmung angenommen und steht auf gleicher Stufe wie die „Masseneinwanderungsinitiative“. Die Stimmberechtigten, haben mit der Annahme der Einwanderungsinitiative diesen Widerspruch in Kauf genommen. Bundesrat und Parlament hatten also keine andere Wahl, als eine praktikable Minimallösung zu finden. Wer also diese Minimallösung „Inländervorrang light“ als „Verfassungsbruch“ oder „Verrat“ diffamiert, jedoch grosszügig das von der SVP bewusst in die Welt gesetzte Trugbild Nachverhandlungen übersieht, argumentiert scheinheilig und heuchlerisch.

 

„Brexit“ and the last days of the British Empire

Nach dem „Brexit“- Entscheid wurde vor allem über die Zukunft der EU leidenschaftlich diskutiert. Dass dieser Entscheid jedoch das Ende des Vereinigten Königreichs von Grossbritannien und Nordirland bedeuten könnte, wurde von den Kommentatoren kaum thematisiert, obwohl genau dies in den kommenden Monaten geschehen könnte. Sollte Schottland nämlich tatsächlich den Weg der Unabhängigkeit wählen und in der EU bleiben, wäre dies der letzte Akt des Zerfalls des Britischen Welt- und Kolonialreichs, der seit rund 240 Jahren unaufhaltsam fortschreitet.

Die Anfänge des Empire lassen sich auf das Jahr 1169 zurückdatieren. Damals eroberten die Anglo-Normannen Irland und schufen damit ihr erste Kolonie. Niemand hätte damals geahnt, dass England rund 800 Jahre später ein Empire sein würde, das einen Viertel der Weltbevölkerung umfasste.

Nach der Eroberung Irlands wurde 1283 auch Wales unterworfen. Danach geriet Schottland ins Visier der Englischen Expansionsgelüste. Eduard I. von England annektierte Schottland schliesslich 1290. In zwei epischen Schlachten besiegten aber die Schotten die Engländer zuerst 1297 bei Stirling Bridge und 1314 bei Bannokburn. Die Englischen Expansionspläne erhielten vorerst einen Dämpfer.

Mit der (Wieder-) Entdeckung Amerikas öffneten sich auch für die Englischen Ambitionen neue Horizonte: 1497 schickte König Henry VII. den Italienischen Seefahrer Giovanni Caboto (anglifiziert: John Cabot) auf eine Expedition über den Atlantik. Caboto landete zwar in Neufundland und Kanada, konnte aber keine Kolonie aufbauen. Doch der Anfang war gemacht: Von da an setzte die Britische Krone alles daran, zur Seemacht aufzusteigen. Dies sollte Früchte tragen: 1583 nahm der Abenteurer Humphrey Gilbert Neufundland im Namen von Königin Elisabeth I. in Besitz und begründete damit, formell, die erste Britische Übersee-Kolonie. Die erste dauerhafte Britische Siedlung in Nordamerika wurde 1607 gegründet: Es war Jamestown in Virginia.

Glückliche Umstände, sagen wir es einmal so, führten dazu, dass 1603 auf die kinderlose Elisabeth Jakob VI. von Schottland folgte. Damit wurde er gleichzeitig König von England und Irland sowie von Schottland. Die Geburtsstunde Grossbritanniens schlug aber erst 1707 mit dem „Act of Union“. Die beiden noch separaten Königreiche wurden nun auch formell zum Königreich Grossbritannien fusioniert.

Nach und nach eroberten die Briten, meist auf Kosten der Spanier, Portugiesen und Niederländer, Kolonie um Kolonie: Kanada, die Ostküste Nordamerikas, Afrika vom Kap der Guten Hoffnung bis Kairo, grosse Teile der Arabischen Halbinsel, den Indischen Subkontinent, Australien und Neuseeland.

Doch bereits 1776, noch bevor das British Empire seine grösste Expansion erreichte, widersetzten sich die 13 Kolonien an der Nordamerikanischen Ostküste der Britischen Krone und riefen die Vereinigten Staaten von Amerika aus. Damit begann auch eine gegenläufige Bewegung, die mit dem wahrscheinlichen Austritt Schottlands aus dem Vereinigten Königreich von Grossbritannien und Nordirland ihren Endpunkt erreichen wird:

  • 1776: 13 Britische Kolonien an der Nordamerikanischen Ostküste erklären sich für unabhängig.
  • 1907: de facto Unabhängigkeit Australiens
  • 1910: Verlust Südafrikas
  • 1919: de facto Unabhängigkeit Kanadas
  • 1922: Begründung des Freistaates Irland, später Irische Republik
  • 1947: Indien erklärt seine Unabhängigkeit vom British Empire

Und wie könnte es weitergehen?

  • 2017: Schottland hält ein zweites Unabhängigkeits-Referendum ab
  • 2018: Schottland erklärt seine Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich und nimmt Beitrittsverhandlungen mit der EU auf
  • 20xx: Nordirland erklärt seine Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich

Verlässt Schottland das Vereinigte Königreich, um in der EU zu bleiben, wäre England wieder dort, wo es vor rund 1000 Jahren einmal war…